Biomassebedarf für Kraftstoffe in Transport, Luft- und Schifffahrt bis 2050 – Auswirkungen auf die Biomasseversorgung des Chemiesektors

Die aktuelle Verkehrsgesetzgebung bietet durch festgelegte Quoten eine langfristige Perspektive für nachhaltige Kraftstoffe in Luftfahrt und Schifffahrt – welche Auswirkungen hat dies auf den Chemiesektor?

nova-Institut

Mit dem Green Deal übernimmt die EU eine Vorreiterrolle bei der Umstellung des Verkehrssektors auf Klimaneutralität. Die aktuelle Verkehrsgesetzgebung bietet durch die festgelegten Quoten eine einzigartige langfristige Perspektive sowohl für nachhaltige kohlenstoff- und insbesondere biomassebasierte Kraftstoffe in der Luft- und Schifffahrt, die unter Anhang IX fallen, als auch für synthetische kohlenstoffbasierte Kraftstoffe. Ein neuer Bericht der Renewable Carbon Initiative (RCI) analysiert drei Zukunftsszenarien für die Entwicklung der Nachfrage nach kohlenstoffbasierten Kraftstoffen bis 2050 – jeweils mit möglichen Entwicklungen entsprechend der aktuellen politischen Rahmenbedingungen. Die Ergebnisse veranschaulichen, dass die Nachfrage nach Biokraftstoffen der zweiten Generation aus Biomasse aufgrund steigender Quoten für Flugkraftstoffe und Schifffahrt erheblich steigen wird. Diese Prognose zeigt nicht nur potenzielle Risiken für das ökologische Gleichgewicht und damit der Nachhaltigkeit von Ressourcen auf, die sorgfältig gemanagt werden müssen, sondern stellt auch erhebliche Hindernisse für andere Sektoren dar, die erneuerbaren Kohlenstoff benötigen, um ihre Produkte zu defossilisieren. Insbesondere der Chemie- und Materialsektor ist langfristig auf Kohlenstoff aus Biomasse und CO2 als Rohstoff angewiesen. Da dieser Sektor jedoch in direktem Wettbewerb mit dem Kraftstoffsektor steht und keine vergleichbaren regulatorischen Anreize bietet, wird er nur sehr begrenzten Zugang zu Biomasse der zweiten Generation und Kohlenstoff aus CCU (Carbon Capture and Utilisation) haben. Andererseits kann die Produktion von bio-basierten und synthetischen Kraftstoffen auch die Entwicklung von erneuerbarem Kohlenstoff in der Chemieindustrie unterstützen, da einige Nebenprodukte der Kraftstoffproduktion als Rohstoffe für die chemische Industrie verwendet werden können.
RCI hat Experten des nova-Instituts mit der Erstellung dieses Berichts beauftragt. Der Bericht enthält 11 Tabellen und 9 Grafiken sowie eine detaillierte Beschreibung der neuesten Kraftstoffvorschriften in der Europäischen Union, die für Interessengruppen aus anderen Sektoren mit Bedarf an Biomasse und CO2-Abscheidung von hohem Wert sind. Obwohl der Schwerpunkt auf Europa liegt, enthält der Bericht auch globale Szenarien und Analysen. Die wichtigsten Ergebnisse und Schlussfolgerungen werden im Folgenden zusammengefasst. Eine detaillierte Analyse finden Sie im vollständigen Bericht, der unter folgendem Link kostenlos herunterladen werden kann:
https://renewable-carbon.eu/publications/product/eu-and-global-biomass-demand-for-transport-fuels-aviation-and-shipping-up-to-2050-and-implications-for-biomass-supply-to-the-chemical-sector-pdf/


Die bestehende Transportverordnung lenkt Biomasse der zweiten Generation in die Luft- und Schifffahrt um

Der Chemiesektor wird unter den derzeitigen europäischen Rahmenbedingungen nicht in der Lage sein, mit dem SAF-Sektor (Sustainable Aviation Fuels = Nachhaltige Flugkraftstoffe) um Biomasse der zweiten Generation (Anhang IX) zu konkurrieren, da die verbindlichen Quoten bedeuten, dass SAF-Produzenten bereit sind, viel höhere Preise für dieselbe Biomasse zu zahlen. Die hohe Nachfrage aus dem Transportsektor wird voraussichtlich fast die gesamte verfügbare Biomasse der zweiten Generation abschöpfen. Mit der Nachfrage steigen die Preise, und die Verfügbarkeit von Biomasse der zweiten Generation für die Nutzung im Chemiesektor wird stark eingeschränkt sein.
Ein höherer Anteil an synthetischen Kraftstoffen, der über die vorgeschriebenen Anteile hinausgeht, könnte den Wettbewerb um bio-basierte Rohstoffe verringern und die Nutzung eines Teils der Biomasse der zweiten Generation in der chemischen Industrie ermöglichen, wodurch fairere Wettbewerbsbedingungen geschaffen würden.


Zwischen dem Verkehrs- und dem Materialsektor besteht ein beträchtliches Synergiepotential

Bei der Herstellung von Biokraftstoffen fallen eine Reihe wertvoller Nebenprodukte an, die der chemischen Industrie zur Verfügung gestellt werden könnten. Ein Beispiel: Bei der Herstellung von nachhaltigen Flugkraftstoffen (SAF) durch das Fischer-Tropsch-Verfahren fällt hochwertiges Naphtha an, das mit einem Anteil von etwa 15 % ein idealer Rohstoff für Steamcracker in der chemischen Industrie ist. Die Modellierung ergab, dass je nach zukünftigem Technologiemix, etwa 1 bis 2 Millionen Tonnen bio-basiertes Naphtha beim berechneten Biomassebedarfs für SAF als Nebenprodukt der bio-basierten SAF-Produktion erwartet werden können. Die Sicherung dieser Ströme für die chemische Industrie kann dazu beitragen, die Synergien zwischen den Sektoren voll auszuschöpfen.


Die industrielle Nutzung von Biomasse sollte auf wissenschaftlichen, objektiven Argumenten beruhen, zu denen auch eine effiziente Landnutzung gehört

Der objektiv fragwürdige Ausschluss von Nahrungs- und Futtermittelpflanzen für die Produktion von zukünftigen Flugkraftstoffen bietet die Möglichkeit, diese Pflanzen für den Chemiesektor zu nutzen. Durch die geringere Nachfrage nach Nahrungs- und Futtermittelpflanzen für den Straßenverkehr kann der Chemiesektor mehr Nahrungs- und Futtermittelpflanzen ohne zusätzliche Flächen nutzen. Ethanol- und Biodieselanlagen könnten erhalten und als Rohstofflieferanten für die chemische Industrie umgenutzt werden, wodurch die umfangreiche bestehende Infrastruktur, die Innovationen und die Arbeitsplätze erhalten blieben, die in den letzten Jahrzehnten durch erhebliche Investitionen geschaffen wurden. Modellrechnungen zeigen, dass es möglich ist, die Versorgung der chemischen Industrie mit Stärke, Zucker und Pflanzenöl im Jahr 2050 entsprechend eines moderaten High-Tech-Szenarios zu erhöhen, ohne die Ernährungssicherheit, Nachhaltigkeit und die Produktion von Biokraftstoff/SAF zu gefährden. Ein Imagewandel in der Nutzung von Nahrungs- und Futtermittelpflanzen in der Industrie und eine langfristige politische Akzeptanz würden nicht nur den wissenschaftlichen Argumenten folgen, sondern auch den Chemiesektor auf seinem Weg zur Defossilisierung und Nachhaltigkeit unterstützen.


Die Elektrifizierung des Verkehrssystems in Kombination mit der Transformation kohlenstoffabhängiger Industrien ermöglicht ein nachhaltiges System der Biomassenutzung

Die Kombination der Dekarbonisierung von Energie und Verkehr mit der Defossilisierung kohlenstoffabhängiger Sektoren bietet einen ganzheitlichen Ansatz für Nachhaltigkeit. Diese integrierte Strategie schafft eine Netto-Null-Vision, die die weitgehende Einführung von Elektrofahrzeugen und die Transformation kohlenstoffabhängiger Sektoren wie Luftfahrt und Chemie umfasst. Ein solcher Ansatz würde die Kohlenstoffnachfrage im Verkehrssektor minimieren und gleichzeitig nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe in Branchen etablieren, die von Natur aus Kohlenstoff benötigen. Darüber hinaus eröffnet er Möglichkeiten für Innovationen und regt eine Neubewertung der Verwendung von Nahrungspflanzen in der Chemie- und Materialproduktion an.
Der zukünftige Kraftstoffmix für den Verkehr wird maßgeblich von den ehrgeizigen gesetzlichen Rahmenbedingungen in der EU beeinflusst, was zu einer erheblichen und steigenden Nachfrage nach bio-basierten und CCU-basierten Kohlenstoff-Rohstoffen führen wird. Um eine nachhaltige Versorgung mit Biomasse der zweiten Generation sicherzustellen, die den hohen Bedarf an Biokraftstoffen insbesondere in der Luftfahrt deckt, und gleichzeitig die Bedürfnisse der chemischen Industrie berücksichtigt, sind weitere strategische politische Maßnahmen erforderlich, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten, eine Kreislaufwirtschaft zu forcieren und die politischen Maßnahmen an das Prinzip der Kaskadennutzung anzupassen. Ein ganzheitlicher Ansatz für diese Herausforderungen ist unerlässlich, um eine nachhaltige und resiliente Transport- und Chemieindustrie für die kommenden Jahrzehnte zu ermöglichen. Durch die gleichzeitige Bewältigung dieser miteinander verbundenen Herausforderungen kann ein kohärenteres und nachhaltigeres industrielles Ökosystem geschaffen werden, das die Bedürfnisse verschiedener Sektoren in Einklang bringt und gleichzeitig den Weg in eine defossilisierte Zukunft ebnet.
„Unsere Forschung zeigt, dass ausgewogene politische Maßnahmen dringend erforderlich sind, die sowohl den Verkehrs- als auch den Chemiesektor bei der Umstellung auf erneuerbare Kohlenstoffquellen unterstützen“, sagt Michael Carus, Geschäftsführer der Renewable Carbon Initiative. “Ohne koordinierte und strategische Ansätze riskieren wir, unbeabsichtigte Hindernisse für die Defossilisierungsbemühungen der chemischen Industrie zu schaffen.“
Die Ergebnisse dieses Berichts unterstreichen die dringende Notwendigkeit der Zusammenarbeit der politischen Entscheidungsträger, Branchenführer und Interessenvertreter beim Kohlenstoffmanagement, um einen ganzheitlichen Ansatz für erneuerbaren Kohlenstoff und dessen Zuteilung zu entwickeln. Die RCI fordert die EU-Gesetzgeber auf, diese Erkenntnisse bei anstehenden politischen Überprüfungen zu berücksichtigen, und lädt die Akteure der Branche ein, gemeinsam nach innovativen Lösungen zu suchen.
Um mehr darüber zu erfahren, wie eine nachhaltige Zukunft für den Verkehrs- und Chemiesektor geschaffen werden kann, kann der vollständige Bericht hier heruntergeladen werden.
https://renewable-carbon.eu/publications/product/eu-and-global-biomass-demand-for-transport-fuels-aviation-and-shipping-up-to-2050-and-implications-for-biomass-supply-to-the-chemical-sector-pdf/

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